Andreas Kilcher und Christine Lubkoll im Gespräch mit Christian Gohlke
Franz Kafka hat Erzählungen und Romane geschrieben, die zu den rätselhaftesten Texten der Weltliteratur gehören. Doch nicht nur sein Werk, auch das Leben des Autors wurde häufig als düster, abgründig und verzweifelt dargestellt. Ein genauerer Blick zeigt allerdings, wie weltzugewandt und interessiert Kafka seine Umgebung wahrgenommen hat – und wie stark diese Offenheit sein Werk geprägt hat. Wie also muss man sich den Schriftsteller vorstellen? – Keinesfalls als weltabgewandten Autor, der in einsamen Nächten chiffrierte Traumbotschaften niederschrieb, sondern als gierigen Leser und wachen Menschen, der die großen Gespräche und kulturgeschichtlichen Entwicklungen seiner Zeit unauflösbar in seine Texte verwob. Schreiben war für Kafka nicht bloß ein Erfinden, sondern ein Verarbeiten. Und Lesen und Beobachten waren für ihn nicht bloß Bildung und Unterhaltung, sondern vielmehr ein integraler Teil seines Schaffensprozesses. Das zeigt sich nicht nur bei dem eher unbekannten Text „Die Sorge des Hausvaters“ (1920), sondern auch in einer seiner wohl berühmtesten Erzählungen, der „Verwandlung“ (1912).
Prof. Dr. Christine Lubkoll, geboren 1956 in Bremen, war Professorin für Neuere deutsche Literatur an der FAU Erlangen-Nürnberg. Sie forscht zur Literaturgeschichte der Sattelzeit, zum Thema Literatur und Musik sowie zu Literatur und Ethik. Ihre Kafka-Beiträge widmen sich u.a. dem Roman “Der Process” und der Erzählung “Josefine die Sängerin”. Zuletzt erschien ein Band über Franz Kafkas literarisches Umfeld in Prag. 14 Porträts von Oskar Baum bis Franz Werfel (Metzler 2024, zs. mit H. Neumeyer).
Prof. Dr. Andreas Kilcher, geboren 1963 in Basel, ist Professor für Literatur- und Kulturwissenschaft an der ETH. Zu seiner Forschung gehört die jüdische Literatur, Kultur und Philosophie, dabei insbesondere auch Kafka, zu dem er 2008 die Suhrkamp Basis-Biographie verfasste. Nach seiner Publikation der Zeichnungen Franz Kafkas im Verlag C. H. Beck (2022) erschien im selben Verlag im Mai 2024 seine Monographie Kafkas Werkstatt. Der Schriftsteller bei der Arbeit.